Neue Magdeburger Experimente

Guerickes Naturphilosophie

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Durch die Diskussion der astronomischen Weltbilder in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde Otto von Guericke angeregt, eigene Untersuchungen zu betreiben. Sein kopernikanisches und atomistisches Weltbild präsentierte er später in seinem Hauptwerk Experimenta Nova Magdeburgica de Vacuo Spatio (1672).

Das Weltall war für ihn ein offenes System von Himmelskörpern, die sich in den unendlichen Raum erstrecken. Damit entstand die Frage nach der Beschaffenheit dieses Raumes. Guericke schloß aus den philosophischen und astronomischen Ansichten seiner Vorgänger, daß dieses All außerhalb der Himmelskörper luftleer sein muß. Er schrieb 1663: ...Was mochte das All wohl sein, umfaßt es doch alles und gewährt ihm die Stätte seines Seins und Bleibens? Ist es irgend ein feuerartiger Himmelsstoff, fest oder flüssig? Oder ist es eine durchsichtige Quintessenz? Oder doch jener stets geleugnete, jeder Stoffheit bare LEERE RAUM? ... Wenn es gelänge, auf der Erde mittels eines Apparates einen luftleeren Raum zu erzeugen, schlußfolgerte Guericke, dann müsse auch das All luftleer sein. Nach vielen mißglückten Versuchen gelang ihm um 1650, das Vakuum praktisch nachzuweisen.

Seine Deutung eines leeren Alls stieß auf heftigen Widerstand bei den Vertretern der herrschenden Lehrmeinungen (z. B. bei den Aristotelikern), die die Auffassung vertraten, daß die Bewegung der Planeten nur durch direkte Berührung mittels der Luft oder eines Äthers, eines feurigen Himmelsstoffes oder einer Glassphäre möglich ist. Da Guericke das leere, unendliche All als gegeben ansah, mußte er Kräfte entdecken, die unkörperlich zwischen den Himmelskörpern wirken konnten.

Magdeburger Schwefelkugel

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Hierzu baute Guericke sich eine Terrella (kleine Erde), die aus 7 Stoffen, hauptsächlich aus Schwefel (Schwefelkugel), bestand. Er bemerkte bei Versuchen mit dieser Kugel, daß sie, wenn man sie rieb, Körperchen anzog oder abstieß, was er einer elektrischen Kraft zuschrieb, die schon von anderen Forschern wie Gilbert (1600) und Cabaeus (1629) beobachtet wurde.

Er konnte neben der elektrischen Anziehung und Abstoßung zeigen, daß ein frei hängender Leinenfaden, dessen oberem Ende die Kugel genähert wurde, an seinem unteren, freien Ende ebenfalls anziehend wirkte.

Er schrieb 1672: ... Dadurch kann man ganz sichtlich nachweisen, daß sich die Kraft in dem Leinenfaden bis ans untere Ende erstreckt hat .... Damit zeigte Guericke die Ausbreitung der Elektrizität in einem festen Körper, den wir heute als elektrische Leitung bezeichnen. Er konnte bereits damals die elektrische Kraft durch Berührung von einem elektrischen Körper auf einen anderen übertragen.

Einige Wissenschaftshistoriker würdigen Guericke deshalb als Vater der Elektrostatik.

In der Ausstellung der Otto-von Guericke-Museums wird ein Bandgenerator gezeigt, mit dem die Abstoßung und Anziehung sowie Leitung der Elektrizität demonstriert werden kann.

Vakuumpumpe - 0. Bauart

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Diese Pumpe 0. Bauart war noch keine Luftpumpe. Guericke erfand etwa 1650 dieses Gerät, mit dem zum ersten Male in der Geschichte ein luftverdünnter Raum (Vakuum) mittels einer Pumpe hergestellt und somit die Vakuumtechnik begründet wurde. Die erste öffentliche Vorführung der Alten Magdeburger Versuche fand 1654 am Ende des Reichstages zu Regensburg statt.

Die Herstellung eines Vakuums geschah dadurch, daß aus einem Glasballon das vorher eingefüllte Wasser mittels einer umgebauten Feuerspritze herausgepumpt wurde. Schwierigkeiten bereiteten Guericke die hierfür notwendigen Ventile, die Kolben-Zylinder-Dichtung und das Einbringen der Kräfte über die Kolbenstange. Da das Wasser inkompressibel ist, lastet sofort bei Pumpbeginn der gesamte Luftdruck auf dem Kolben. Das erschwert die Pumparbeit. Die Effektivität der Pumpe war jedoch gut, auch wenn der Totraum zwischen dem Ein- und Auslaßventil im Pumpenzylinder fast 50% des Pumpenvolumes in Anspruch nahm. Alle Verbindungsstellen wurden unter Wasser gehalten, das als Dicht- und Schmierstoff benutzt wurde.

In der ersten Abbildung vollziehen Engel den Pumpvorgang. Das war für den Autor der Mechanica hydraulico-pneumatica (1657) Schott wegen seiner Anschauung über die Furcht vor dem Leeren (horror vacui) die einzige Möglichkeit, die Herstellung eines Vakuums bildlich darzustellen. Engel besitzen göttliche Kräfte aber menschliche Gestalt. Die Ergebnisse der Versuche grenzten für ihn an Wunder. Aber es war eben dieser Jesuit Schott, der Guericke durch seinen fordernden Briefwechsel anregte, Neue Magdeburger Versuche zu erdenken und auszuführen. Erst damit konnte Guericke seine Ansichten über das Vakuum, die vom Kopernikanismus und Atomismus geprägt waren, verbreiten.

Vakuumluftpumpe - 1. Bauart

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Diese Pumpe wurde etwa 1656 gebaut. Damit konnte erstmals die Luft unmittelbar aus einem Gefäß herausgepumpt werden.

Grundlage dieses Pumpentyps war, wie bei der Pumpe 0. Bauart und den später folgenden Bauarten, eine Feuerspritze, deren Zylinder ohne größere Änderungen übernommen wurde.

Ihr Vorteil war ein verringerter Totraum zwischen Ein- und Auslaßventil. Da Luft elastisch ist, lag bei Beginn des Pumpens nicht der gesamte Druck der Luft auf dem Kolben. Das Pumpen war zu Anfang leicht, wurde immer schwerer und schließlich mußte bei stark verdünnter Luft gegen den vollen Luftdruck gearbeitet werden.

Eine weitere Verbesserung der Pumpe war die Verlängerung ihres Kolbens und der Kolbendichtung.

Guerickes geniale Leistung bestand darin, bereits Bekanntes (Feuerspritze, Klappenventile, Kupferbehälter) in einer neuen Konstruktion kombiniert zu haben.

Auch die zu evakuierenden (luftleer zu pumpenden) Behälter (Rezipienten) waren nicht einfach zu finden. Guerickes erste Versuche mit einem Holzfaß, das aber luft- und wasserdurchlässig war, schlugen fehl. Bald gelangte er zu Kupferkugeln, deren erste Exemplare implodierten, da sie unrund und zu dünnwandig waren. Die fachkundigen Magdeburger Rotgießer und Kupferschmiede bauten später die Versuchsgeräte, die den harten Bedingungen von Gerickes Experimenten immer besser stand hielten.

Vakuumluftpumpe - 2. Bauart

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Diese einzige erhaltene Abbildung der in Guerickes Wohnhaus in Magdeburg fest installierten Luftpumpe wurde von Guericke in Schotts Technica curiosa (1664) veröffentlicht. Die Vakuumluftpumpe 2. Bauart stand im Keller und war durch ein Kupferrohr (F) mit einem größeren Rezipienten (H) in seinem Arbeitszimmer verbunden. So konnte Guericke seinen zahlreichen Besuchern vielfältige Experimente ungestört vorführen.

Die Zylinderabdeckung (Fig. II) mit den Ventilen ist vergrößert gezeichnet, denn hier lag der wesentliche Vorteil gegenüber den bisherigen Pumpenkonstruktionen. Das Aus- und das Einlaßventil (d und c) liegen an der Zylinderstirnseite in einer Ebene. Der konstruktiv bedingte Totraum wurde somit vorzüglich minimiert, was erstmals ein optimales Pumpen von Luft ermöglichte.

Durch den Bottich und die Kupferwannen wurden alle Steckverbindungen unter Wasser gehalten und somit vor Luftzutritt bewahrt. Die meisten der beschriebenen Experimente wurden mit dieser Vakuumluftpumpe ausgeführt.

Vakuumluftpumpe - 3. Bauart

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In dieser leicht demontierbaren Reiseluftpumpe (1663) floßen alle bisher gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse Guerickes über den Vakuumpumpenbau ein. Beide Ventile befanden sich an der Zylinderstirnseite (minimierter Totraum). Der Kolben war gegenüber der Feuerspritze um ein Vielfaches verlängert, womit die Dichtfläche beträchtlich vergrößert wurde. Alle konischen Steckverbindungen befanden sich unter Wasser. Besonderen Wert legte er auf die Hebelkonstruktion für die parallele Führung des Pumpenkolbens.

Pumpen 3. Bauart sind je eine im Deutschen Museum München, im Technischen Museum Malmö und an der Technischen Universität Braunschweig ausgestellt, wobei es sich bei den erstgenannten nachweislich um Guerickes Pumpen handelt. Sie entsprechen der Beschreibung in Guerickes Hauptwerk. Eine Pumpe wurde dem Kurfürsten von Brandenburg Friedrich Wilhelm 1663 vorgeführt, um zu beweisen, was Vakuum sei, wie der Prinzenerzieher Otto von Schwerin am 10. Dezember in sein Tagebuch schrieb.

Lufteigenschaften

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Bei der Herstellung eines Vakuums bemerkte Guericke Kräfte, die er den Lufteigenschaften zuschrieb: Die Luft ist schwer, was mit einer Waage zu bestimmen ist. Er wog ein luftleeres Gefäß und ließ es nach dem Einströmen der Luft erneut wiegen. Die meßbare Differenz war das Gewicht der eingeströmten Luft.

Diesen Druck der auf uns lastenden Luftschicht konnte Guericke mit dem langen Wasserbarometer (10 m) exakt bestimmen. Die Luftsäule drückte auf die Wasseroberfläche des Bottichs und damit die Wassersäule in die luftleere Glasröhre hinein.

Guericke baute auch ein verkürztes Barometer (2 m), das Wettermännchen. Zu den Beobachtungen an diesem Gerät schrieb Guericke jun. 1668: ... Wir bemerkten eine sozusagen ganz gewaltige Zustandsänderung der Luft: sie wurde so leicht, daß die Figur sich auf den untersten Punkt der Teilung einstellte. Mein Herr Vater zeigt dies mir und anderen und sagte für die nächsten zwei bis drei Stunden ein fürchterliches und unerwartetes Unwetter voraus, das anderwärts tobte ... und später auch zu uns kam. Wir haben deswegen gleichzeitige Beobachtungen in Berlin, Magdeburg und Hamburg angestellt und gefunden, daß der Zustand der Luft an diesen drei Orten häufig übereinstimmend, bisweilen aber auch abweichend war. ... Guericke ist einer der ersten Magdeburger, der nicht nur Wetterbeobachtungen machte, sondern auch Wettervorhersagen wagte.

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Das ebenfalls von Guericke erdachte Thermoskop - oder Magdeburger Thermometer genannt - zeigte an, wie warm oder kalt Luft ist. Die Luft in einem Kugelbehälter dehnt sich bei Erwärmung aus, und zieht sich bei Abkühlung zusammen. Der sich damit verändernde Luftdruck im Behälter wirkt auf eine Flüssigkeitssäule und einen Zeiger.

Ein Wasserbarometer und ein Magdeburger Thermometer befanden sich an Guerickes Wohnhaus.

Magdeburger Halbkugeln

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Guericke erdachte immer wieder neue Versuche. Der beeindruckendste und noch heute publikumswirksamste war der Versuch mit den großen Magdeburger Halbkugeln (60 cm Durchmesser), bei dem in steigender Zahl Pferde beidseitig vor die evakuierte Kugel gespannt wurden und schließlich sechzehn Pferde nicht in der Lage waren, diese auseinanderzureißen. Der Versuch demonstrierte augenscheinlich die große Kraft des Luftdruckes, der mit der größten damals zur Verfügung stehende Zugkraft, dem Pferd, nicht überwunden werden konnte.

Er zeigt aber auch die Endlichkeit des Luftdruckes, wenn die Pferde unter ungünstigen Bedingungen (Undichtheit, niedriger Luftdruck, gleichmäßiger Anzug aller Pferde) die Halbkugeln auseinanderrissen. Guericke schlußfolgerte: Die Furcht vor dem Leeren (horror vacui) ist gewaltig, aber endlich. Ein kleiner Junge aber öffnete den Hahn, ließ Luft in den entleerten Hohlraum strömen und die Kugelhälften fielen von selbst auseinander.

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Dieses Experiment hatte Vorgänger. Ab 1656 ließ Guericke Versuche mit den Magdeburger Halbkugeln durchführen. Zuerst versuchten sechs kräftige Männer die evakuierten kleineren Halbkugeln (20 cm Durchmesser) auseinander zu reißen. 1657 ließ er erstmals bis zu 12 Pferde vor Halbkugeln von 35 cm Durchmesser spannen. Die Originale sind im Deutschen Museum in München ausgestellt.

1661 ließ Otto von Guericke die Großen Magdeburger Halbkugeln (60 cm Durchmesser) fertigen und mit 16 oder auch 20 Pferden traktieren, was die Konstruktion vielfach überforderte. Aber auch hier schafften es die Pferde selten, die Halbkugeln zu entzweien und somit die Kraft des Luftdrucks zu überwinden.

Weg zur Hebemaschine

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Für den Versuch mit den Magdeburger Halbkugeln standen Guericke nicht immer die nötigen Pferde zur Verfügung. Bei vielen Versuchen rissen an den Halbkugeln die Ösen oder sie wurden beschädigt. Auch der relativ wohlhabende Bürgermeister konnte die entstehenden Herstellungskosten nicht unbeschränkt aufbringen. Die Neuanfertigungen und Reparaturen führten die Guericke gut bekannten Magdeburger Kupferschmiede aus. Sie mußten erst einmal begreifen, welchen großen Belastungen die Halbkugeln ausgesetzt waren.

Guericke suchte eine Möglichkeit, den Halbkugelversuch ohne Pferde und exakter vollziehen zu können. Darum ersann er, für neue Experimente den Galgenversuch. Dieser hatte enorme Vorteile. Guericke konnte neben der Berechnung des effektiven Querschnittes die auf dem Waagebrett aufliegenden Lasten genau auszählen und daraus den absoluten Wert des Luftdruckes berechnen.

Sofort suchte er auch nach einer direkten Nutzung des Luftdruckes. So entstand 1661 der Versuch mit der atmosphärischen Hebemaschine. Indem er den Raum zwischen Zylinder und Kolben evakuierte, drückte der äußere Luftdruck den Kolben in den luftleeren Zylinder, so daß das Waagebrett mit aufliegender Last angehoben wurde.

Hier wurde erstmalig bewußt demonstriert, daß der atmosphärische Luftdruck gegen ein Vakuum Arbeit verrichten kann. Diese Konstruktion führte nachweisbar in direkter Linie über Huygens, Papin und Newcomen zu Watt, zur atmosphärischen Dampf- und Verbrennungskraftmaschine.

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Letzte Änderung: 30.06.2022 - Ansprechpartner: Webmaster